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Die Macht von Text im Film

30.8.2018·Kommentare:  0Retweets:  0 2

Fürs Filmemachen gilt prinzipiell: »Show, don’t tell«. Darum gelten Stilmittel wie Erzählerstimmen und Texteinblendungen als verpönt und werden als Antithese zum visuellen Medium Film gesehen.

»Show, don’t tell« – berühmt-berüchtigte Negativbeispiele

Prominentes Beispiel für Erzählerstimmen ist jene des Protagonisten Rick Deckards (Harrison Ford) in der ursprünglichen »Blade Runner«-Kinofassung (in einigen Director’s Cuts entfernt), für ausladend erklärenden Text der Introtext in »Star Wars« – der hingegen Kultstatus erlangte.

Ein Komprimiss ist z.B. die Vorgeschichte des Rings in »Der Herr der Ringe: Die Gefährten«. Es gibt zwar mit Galadriel (Cate Blanchett) eine Erzählerstimme, die Geschichte ansich wird aber, Gott sei Dank, in Bildern erzählt. Man stelle sich den Anfang mit zwei, drei Texttafeln abgehandelt vor … . Insofern scheint die Regel nachvollziehbar.

»I, Tonya« – Ausnahmen bestätigen die Regel

Es gibt aber auch positive (wohl die Regel bestätigende) Ausnahmen. Vor Kurzem habe ich nämlich »I, Tonya« gesehen. Zuvor war ich mir nicht ganz sicher, ob die wahre Geschichte von Tonya Harding und ihrer Verbindung zum Attentat auf Eiskunstlauf-Kollegin Nancy Kerrigan nicht zu sehr fades Biopic sein könnte.

Nach den ersten paar Credits erschienen aber folgende vier einfache Zeilen Text:

Basierend auf ironiefreien,
extrem widersprüchlichen,
und absolut wahren Interviews
mit Tonya Harding und Jeff Gillooly.

Noch bevor also eine Sekunde Handlung zu sehen war, wurden meine Zweifel komplett zerstreut, meine Erwartungshaltung schnellte in die Höhe und ich erwartete die Geschichte nicht mehr skeptisch, sondern gespannt. Warum? Erstens erhielt ich die mir neue Information, dass unter den involvierten Personen keineswegs Konsens über die Ereignisse herrscht und zweitens signalisiert das Wort »extrem« bereits eine gewisse Haltung des Films, der auf eine recht kurzweilige Inszenierung hoffen lässt. Und weil ich mir des eingangs erwähnten »Show, don’t tell«-Mantras bewusst war, fand ich die Wirkung dieser Zeilen umso faszinierender.

Sicher könnte man sich umgekehrt die Frage stellen, wie man diese Erklärung bereits in Bildern hätte erzählen können. Zum Beispiel durch eine Montage widersprüchlicher Aussagen der Beteiligten. Nur hätten diese wirklich exakt zusammenpassen bzw. sich eben genau widersprechen müssen und die Sequenz hätte auch länger gedauert. So schaffen vier einfache, kraftvolle Zeilen Text denselben Effekt in einem Bruchteil der Zeit (und Kosten). Wer »I, Tonya« noch nicht gesehen hat, unbedingt anschauen!


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