Zwei Jahre Gendern mit Doppelpunkt – eine Zwischenbilanz
Nachdem mein »Gendern mit Doppelpunkt«-Artikel einiges an Feedback nach sich gezogen hat, nutze ich mein zweijähriges Jubliäum diesbezüglich für ein paar Zahlen und Erfahrungen meinerseits.
Wann und warum bin ich auf »:in(nen)« umgestiegen?
Wenn mich meine Erinnerung und meine Recherchen nicht täuschen, hat Apple 2021 angefangen in seinen deutschen Sprachvarianten mit Doppelpunkt zu gendern. Aufgefallen ist es mir damals aber weder in der Berichterstattung oder in macOS oder iOS, sondern auf der deutschsprachigen Website.
Ich war bis dahin unschlüssig, ob ich den Schritt wagen soll oder nicht (die Variante mit »und -innen« bzw. die Erwähnung beider zweier Geschlechter hatte ich mir aber schon seit Langem angewöhnt). Hüter der Sprache wie Zeitungen etc. trauen sich meist (noch) nicht drüber, insofern hatte ich Apples Entscheidung diesbezüglich schon als Zeichen der Zeit gedeutet und mir einfach einen Ruck gegeben. Der erste Post war thematisch passend jener zum iPad mini 6.
Warum überhaupt?
Dass das generische Maskulinum inklusiv gemeint ist und das seit Jahrhunderten, ist zwar schön und gut. In der Praxis wird es aber oft nicht so wahrgenommen, wie die Uni Würzburg und TU Darmstadt, die den berühmten Versuch von 2002 im Jahr 2022 wiederholt haben, zeigt.
Sprache lebt und verändert sich
Als Argument dagegen wird oft die Unantastbarkeit bzw. Unveränderlichkeit der Sprache angeführt. Es gibt verschiedene Ausführungen des Arguments, im Grunde aber geht es meist in die Richtung, dass man da ja Nichts leichtfertig verändern sollte. Im Prinzip auch nachvollziehbar, allerdings lebt Sprache und verändert sich laufend:
- So liest sich z.B. das Nibelungenlied nicht gerade wie ein Marktbegleiter zu »Der Herr der Ringe« …
- … oder, noch früher, die Merseburger Zaubersprüche nicht wie die Packungsbeilage eines Medikaments aus der Apotheke.
- Zu abstrakt oder zu lang her? Wie wärs dann mit der Einführung der Pünktchen für Umlaute – erst erfolgt im 18. Jahrhundert.
Eine Frage der Mehrheit?
Schwierig finde ich auch Gendern-Gegenargumente nach dem Mehrheitsprinzip – oft auch anzutreffen bzgl. Anzahl der Geschlechter und wie viel Prozent der Bevölkerung das überhaupt betrifft. Solchen Ansätzen würde ich mit leichtem Augenzwinkern entgegenhalten: Dann lasst die Frauen ja nicht draufkommen, dass sie im deutschsprachigen Raum die größte Geschlechtergruppe stellen (sowohl in Österreich als auch in Deutschland) und sie nach dieser Logik ja einfach das generische Femininum fordern könnten. 😜
Ein paar Zahlen
Doch zurück zu meinen Erfahrungen mit Gendern in der Praxis: Wie oft habe ich überhaupt mit Doppelpunkt gegendert?
Die Antwort: In 49 von 261 Posts bzw. in 19 % aller Posts seit dem 22.9.2021.1
Wenn die Anwendungsfälle so überschaubar sind, braucht man Gendern dann überhaupt? Nun ja, klar: Ist IMO wie Zähneputzen, tut man auch nicht jede Stunde. Sprich, da wo Bilder mit »Male bias« geformt werden könnten, bietet es sich natürlich an. Der Vorteil: Leser:innen, die Gendern mit Trennzeichen gar nicht mögen, sind dem – zumindest auf diesem Blog – nur in geringen, garantiert nicht tödlichen 😁 Dosen ausgesetzt – eine Win-Win-Situation, oder? 😉
Hätte man in den 19 % die Formung von »Male bias«-Bildern nicht mit anderen Mitteln als dem Gender-Doppelpunkt verhindern können? In manchen Fällen vielleicht, wenn man bei einer Satzkonstruktion aber darauf stößt, ist es zumindest der einfachere und schnellere Weg, einfach zu gendern.
Erfahrungen: Wo sich’s leicht gendert und wo nicht
Easy cheesy:
Wollten die Autor:innen …
Liest sich leicht und der Artikel »die« erfordert in dem Fall kein Gendern.
Wo man es leicht vergisst: Z.B. bei Indefinitpronomen. So hatte ich das bei meiner Überschrift hier zunächst vergessen und »Warum schreibt keiner […]« statt »Warum schreibt keine:r […]« getitelt. Gendern unerwünscht? In dem Fall ginge natürlich auch »niemand«. 😉
Ebenfalls schwierig: Eine Passage wie zuletzt bei meiner »Ahsoka«-Kritik zu Folge 5:
[…] dass Hayden Christensen einfach eine:n gute:n Agent:in hat, die/der […]
Die komplette Kette Artikel + Adverb + Nomen zu gendern ist natürlich viel (und ich hätte nachsehen können, wer Hayden Christensens Agent:in genau ist). Eine Folge-Herausforderung ist aber der bezugnehmende Artikel »die/der« nach dem Beistrich. Einerseits bin ich unsicher, ob das nicht »die:der« lauten sollte (»welche:r« wäre hier auch eine Option). Andererseits würde ich den Doppelpunkt für die Trennung innerhalb eines Wortes vorbehalten (eurer Input dazu gerne in den Kommentaren).
Eure Meinung
Wie geht’s euch mit Gendern? Überlegt ihr noch oder seid ihr schon fleißig dabei und habt andere Erfahrungen oder Tipps? Auf euer Feedback freue ich mich wie immer in den Kommentaren!
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8 Kommentare
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Hi Benedikt,
nein, Gendern kommt für mich nicht in Frage! Ups, wer hätte das von mir gedacht 😂
Es ist einfach ein störendes Element im Lesefluss! Ständig Doppelpunkte und Gendern vorgesetzt zu bekommen halte ich für den falschen Weg!
Früher hat sich doch auch keiner aufgeregt über Begriffe/Bezeichnungen wie Redakteur, Journalist oder Professor oder Taxifahrer!
Im alltäglichen Sprachgebrauch verwenden wir das Gendern ja auch nicht, warum dann in Texten oder sonstigen Medien?
Wer hat überhaupt diese tumbe Idee ins rollen gebracht?
Es hat doch wirklich niemanden gestört, geschweige denn hat niemand daran gedacht, Geschlechtsneutralität überhaupt in Betracht zu ziehen.
Das fing doch alles mit dem Queerness und dritten Geschlecht an!
Es ist mittlerweile strafbar in Stellenanzeigen nicht das dritte Geschlecht zu berücksichtigen.
Man ist gezwungen das „D“ mit anzuführen!
Meiner Meinung nach ist das Gendern im höchsten Maße unangebracht. Es stört, wie gesagt, den Lesefluss, lässt einen immer wieder abschweifen und denkt daran, was das jetzt bringen soll oder eben nicht bringen soll.
Man fügt einen neuen Störfaktor ein, der zu nichts führt, als wie nur Unverständnis, Kopfschütteln und schlussendlich das Abbrechen des Artikels!
Keine gute Idee!
Hi Peter, danke für dein Feedback (meine ich auch so, auch wenn ich natürlich anderer Meinung bin – es lebe der Diskurs 😉).
Tja, also wenn ich hätte wetten müssen … 😂
Ist halt ein Abwägen: Ich kann mich bei jedem Anwendungsfall für Lesefluss oder gegen den in Studien belegten »Male bias« entscheiden. Ich tue Letzteres, zumal es gerade in der deutschen Sprache meist genug Optimierungspotenzial abseits des Genderns für den Lesefluss gibt.
Genauso wenig wie über Paygap, dass Frauen daheim den Haushalt schupfen etc. Heißt aber nur, dass die Probleme gesellschaftlich nicht sichtbar waren, nicht, dass sie nicht da waren.
Also ich mache das eigentlich schon.
Das bringt uns zurück zu eben jenen Studien, die belegen, dass das generische Maskulinum eben vorwiegend männliche Bilder formt. Dass dann im Zuge der Gleichberechtigungsdebatte auch diese Baustelle angegangen wird, liegt in der Natur der Sache.
Das ist IMO eine Annahme, die vorwiegend von jener Gruppe kommt, die es nicht betroffen hat. Da sagt sich das natürlich leicht.
Also ich lese das jetzt ganz entspannt als Beschreibung von Tatsachen und finde das eigentlich gut so. Ist doch schön zu wissen, dass, wenn man sich mal in einer Minderheit wiederfinden sollte (generell, nicht nur diesbezüglich), man trotzdem nicht vergessen und gleichberechtigt behandelt wird.
Nur, wenn man sich drüber ärgert. 😉 Sonst ist es IMO eine Frage der Gewohnheit; man soll halt beim Lesen, wie eben wissenschaftlich belegt, nicht an einen Mann denken, sondern ans 3. Geschlecht, eine Frau oder eben einen Mann.
Kann natürlich jede:r handhaben wie sie/er will, scheint mir aber eine extreme Reaktion zu sein, wenn einen der Inhalt bis zum ersten Gendern eigentlich interessiert hat. Statistisch müsste ich mir das auf Artikelbasis ansehen, gesamt gesehen hatte das IMO jedenfalls keinen negativen Auswirkungen, eher im Gegenteil, die Zugriff sind in den letzten 2 Jahren gestiegen.
Hallo Benedikt,
…ein Auszug vom Frauenhofer Blog.de
Hi Peter, danke fürs Feedback! Erwähnen sollte man dabei IMO, dass es sich um diesen Blogeintrag des Fraunhofer-Instituts handelt, mit dem Titel »Karriere-Killer Gender Bias«. Und darin geht es wiederum um die systemische Wirkung in großen Unternehmen, wo die ungleiche Behandlung am Ende der Karrierestufe erst wieder 60/40 zugunsten der Männer ausschlagen kann. Der Satz vor deinem zitierten Absatz lautet:
Und der unmittelbar danach:
Gefolgt von Absätzen mit Titeln wie »In der Praxis ist der Gender Bias krasser« etc. – also insofern zitierst du IMO genau jenen Absatz aus einem Pro-Gender-Post, der sich eben auf bisherige Forschung dazu bezieht, der Post selbst aber – zumindest beim Thema Karriere – zu einem anderen Schluss kommt.
Neben dem Teilaspekt Karriere werden große Themen wie die real existierende Paygap darin z.B. gar nicht erwähnt.
Unabhängig davon kann man vermutlich ewig aus dieser oder jenen Studie zitieren, da die Gleichberechtigungsdebatte aber sehr viele und auch viel ärgere Themenbereiche umfasst (siehe dazu auch meine Antwort hier, insbesondere der Teil mit den Sustainable Development Goals der deutschen Bundesregierung), vielleicht zur Einordnung worum es mir bei meinem Gendern mit Doppelpunkt geht: Nämlich schlicht um die Vermeidung von »Male bias« in der Sprache (der durch den oben verlinkten Versuch ja erneut bewiesen wurde). Wie messbar die Auswirkungen auf viel schlimmere Probleme bzgl. Gleichberechtigung sind, sei dahingestellt – aber das ist der Part, den ich, zumindest was mein Blog angeht, beitragen kann.
Ein wenig spät habe ich deinen Artikel aufgenommen: https://nureinblog.at/12360-die-sache-mit-dem-doppelpunkt-oder-wie-gendern-wir-heute
Hi Robert, vielen Dank für deine Erwähnung (hab auch bei dir kommentiert) und, dass du auch an dem Thema dranbleibst – auch, wenn einem da teilweise ein rauerer Wind entgegenbläst. 😅
Hi Benedikt. Es gibt Thema die tauchen immer wieder bei mir auf und an denen möchte ich einfach dranbleiben. Auch im Sinne von hinterfragen, ob mein Standpunkt noch der Richtige ist.
Ja, das Thema regt manche ungemein auf. Für manche ist es quasi eine persönliche Provokation. Woher das auch immer kommt.
Bei anderen können wir uns zumindest einigen, dass wir bei dem Thema nicht zusammenkommen, aber dafür viel anderes gemein haben. Und das ist heutzutage schon gut und wichtig.
Ja, die »Agree to Disagree«-Konvention klappt komischerweise nicht immer, insbesondere beim Gendern – und wenn es um den 4020er der ÖBB geht, obwohl ganz anderes Thema. 🤣
Ich hätte das eher bei Tech-Themen vermutet, aber dafür bin ich was Plattformen und Marken angeht hier wohl zu agnostisch.