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Zwei Jahre Gendern mit Doppelpunkt – eine Zwischenbilanz

22.9.2023·Kommentare:  8

Nachdem mein »Gendern mit Doppelpunkt«-Artikel einiges an Feedback nach sich gezogen hat, nutze ich mein zweijähriges Jubliäum diesbezüglich für ein paar Zahlen und Erfahrungen meinerseits.

Wann und warum bin ich auf »:in(nen)« umgestiegen?

Wenn mich meine Erinnerung und meine Recherchen nicht täuschen, hat Apple 2021 angefangen in seinen deutschen Sprachvarianten mit Doppelpunkt zu gendern. Aufgefallen ist es mir damals aber weder in der Berichterstattung oder in macOS oder iOS, sondern auf der deutschsprachigen Website.

Ich war bis dahin unschlüssig, ob ich den Schritt wagen soll oder nicht (die Variante mit »und -innen« bzw. die Erwähnung beider zweier Geschlechter hatte ich mir aber schon seit Langem angewöhnt). Hüter der Sprache wie Zeitungen etc. trauen sich meist (noch) nicht drüber, insofern hatte ich Apples Entscheidung diesbezüglich schon als Zeichen der Zeit gedeutet und mir einfach einen Ruck gegeben. Der erste Post war thematisch passend jener zum iPad mini 6.

Warum überhaupt?

Dass das generische Maskulinum inklusiv gemeint ist und das seit Jahrhunderten, ist zwar schön und gut. In der Praxis wird es aber oft nicht so wahrgenommen, wie die Uni Würzburg und TU Darmstadt, die den berühmten Versuch von 2002 im Jahr 2022 wiederholt haben, zeigt.

Sprache lebt und verändert sich

Als Argument dagegen wird oft die Unantastbarkeit bzw. Unveränderlichkeit der Sprache angeführt. Es gibt verschiedene Ausführungen des Arguments, im Grunde aber geht es meist in die Richtung, dass man da ja Nichts leichtfertig verändern sollte. Im Prinzip auch nachvollziehbar, allerdings lebt Sprache und verändert sich laufend:

Eine Frage der Mehrheit?

Schwierig finde ich auch Gendern-Gegenargumente nach dem Mehrheitsprinzip – oft auch anzutreffen bzgl. Anzahl der Geschlechter und wie viel Prozent der Bevölkerung das überhaupt betrifft. Solchen Ansätzen würde ich mit leichtem Augenzwinkern entgegenhalten: Dann lasst die Frauen ja nicht draufkommen, dass sie im deutschsprachigen Raum die größte Geschlechtergruppe stellen (sowohl in Österreich als auch in Deutschland) und sie nach dieser Logik ja einfach das generische Femininum fordern könnten. 😜

Ein paar Zahlen

Doch zurück zu meinen Erfahrungen mit Gendern in der Praxis: Wie oft habe ich überhaupt mit Doppelpunkt gegendert?

Die Antwort: In 49 von 261 Posts bzw. in 19 % aller Posts seit dem 22.9.2021.1

Wenn die Anwendungsfälle so überschaubar sind, braucht man Gendern dann überhaupt? Nun ja, klar: Ist IMO wie Zähneputzen, tut man auch nicht jede Stunde. Sprich, da wo Bilder mit »Male bias« geformt werden könnten, bietet es sich natürlich an. Der Vorteil: Leser:innen, die Gendern mit Trennzeichen gar nicht mögen, sind dem – zumindest auf diesem Blog – nur in geringen, garantiert nicht tödlichen 😁 Dosen ausgesetzt – eine Win-Win-Situation, oder? 😉

Hätte man in den 19 % die Formung von »Male bias«-Bildern nicht mit anderen Mitteln als dem Gender-Doppelpunkt verhindern können? In manchen Fällen vielleicht, wenn man bei einer Satzkonstruktion aber darauf stößt, ist es zumindest der einfachere und schnellere Weg, einfach zu gendern.

Erfahrungen: Wo sich’s leicht gendert und wo nicht

Easy cheesy:

Wollten die Autor:innen …

Liest sich leicht und der Artikel »die« erfordert in dem Fall kein Gendern.

Wo man es leicht vergisst: Z.B. bei Indefinitpronomen. So hatte ich das bei meiner Überschrift hier zunächst vergessen und »Warum schreibt keiner […]« statt »Warum schreibt keine:r […]« getitelt. Gendern unerwünscht? In dem Fall ginge natürlich auch »niemand«. 😉

Ebenfalls schwierig: Eine Passage wie zuletzt bei meiner »Ahsoka«-Kritik zu Folge 5:

[…] dass Hayden Christensen einfach eine:n gute:n Agent:in hat, die/der […]

Die komplette Kette Artikel + Adverb + Nomen zu gendern ist natürlich viel (und ich hätte nachsehen können, wer Hayden Christensens Agent:in genau ist). Eine Folge-Herausforderung ist aber der bezugnehmende Artikel »die/der« nach dem Beistrich. Einerseits bin ich unsicher, ob das nicht »die:der« lauten sollte (»welche:r« wäre hier auch eine Option). Andererseits würde ich den Doppelpunkt für die Trennung innerhalb eines Wortes vorbehalten (eurer Input dazu gerne in den Kommentaren).

Eure Meinung

Wie geht’s euch mit Gendern? Überlegt ihr noch oder seid ihr schon fleißig dabei und habt andere Erfahrungen oder Tipps? Auf euer Feedback freue ich mich wie immer in den Kommentaren!


  1. Plus zwei weitere aus 2018 und 2020, die ich im Nachhinein mit inhaltlichen Updates versehen habe, wo Gendern vorkommt. Gemessen wurde via SQL-Query, welches Posts mit »:in« in Titel oder Post-Content enthielt. 

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8 Kommentare

#1 von Peter am 23.9.2023, 4:13 Uhr

Hi Benedikt,

nein, Gendern kommt für mich nicht in Frage! Ups, wer hätte das von mir gedacht 😂
Es ist einfach ein störendes Element im Lesefluss! Ständig Doppelpunkte und Gendern vorgesetzt zu bekommen halte ich für den falschen Weg!
Früher hat sich doch auch keiner aufgeregt über Begriffe/Bezeichnungen wie Redakteur, Journalist oder Professor oder Taxifahrer!
Im alltäglichen Sprachgebrauch verwenden wir das Gendern ja auch nicht, warum dann in Texten oder sonstigen Medien?
Wer hat überhaupt diese tumbe Idee ins rollen gebracht?
Es hat doch wirklich niemanden gestört, geschweige denn hat niemand daran gedacht, Geschlechtsneutralität überhaupt in Betracht zu ziehen.
Das fing doch alles mit dem Queerness und dritten Geschlecht an!
Es ist mittlerweile strafbar in Stellenanzeigen nicht das dritte Geschlecht zu berücksichtigen.
Man ist gezwungen das „D“ mit anzuführen!
Meiner Meinung nach ist das Gendern im höchsten Maße unangebracht. Es stört, wie gesagt, den Lesefluss, lässt einen immer wieder abschweifen und denkt daran, was das jetzt bringen soll oder eben nicht bringen soll.
Man fügt einen neuen Störfaktor ein, der zu nichts führt, als wie nur Unverständnis, Kopfschütteln und schlussendlich das Abbrechen des Artikels!
Keine gute Idee!

#2 von Benedikt am 23.9.2023, 20:19 Uhr

Hi Peter, danke für dein Feedback (meine ich auch so, auch wenn ich natürlich anderer Meinung bin – es lebe der Diskurs 😉).

nein, Gendern kommt für mich nicht in Frage! Ups, wer hätte das von mir gedacht 😂

Tja, also wenn ich hätte wetten müssen … 😂

Es ist einfach ein störendes Element im Lesefluss!

Ist halt ein Abwägen: Ich kann mich bei jedem Anwendungsfall für Lesefluss oder gegen den in Studien belegten »Male bias« entscheiden. Ich tue Letzteres, zumal es gerade in der deutschen Sprache meist genug Optimierungspotenzial abseits des Genderns für den Lesefluss gibt.

Früher hat sich doch auch keiner aufgeregt über Begriffe/Bezeichnungen wie Redakteur, Journalist oder Professor oder Taxifahrer!

Genauso wenig wie über Paygap, dass Frauen daheim den Haushalt schupfen etc. Heißt aber nur, dass die Probleme gesellschaftlich nicht sichtbar waren, nicht, dass sie nicht da waren.

Im alltäglichen Sprachgebrauch verwenden wir das Gendern ja auch nicht, warum dann in Texten oder sonstigen Medien?

Also ich mache das eigentlich schon.

Wer hat überhaupt diese tumbe Idee ins rollen gebracht?

Das bringt uns zurück zu eben jenen Studien, die belegen, dass das generische Maskulinum eben vorwiegend männliche Bilder formt. Dass dann im Zuge der Gleichberechtigungsdebatte auch diese Baustelle angegangen wird, liegt in der Natur der Sache.

Es hat doch wirklich niemanden gestört, geschweige denn hat niemand daran gedacht, Geschlechtsneutralität überhaupt in Betracht zu ziehen.

Das ist IMO eine Annahme, die vorwiegend von jener Gruppe kommt, die es nicht betroffen hat. Da sagt sich das natürlich leicht.

Das fing doch alles mit dem Queerness und dritten Geschlecht an!
Es ist mittlerweile strafbar in Stellenanzeigen nicht das dritte Geschlecht zu berücksichtigen.
Man ist gezwungen das „D“ mit anzuführen!

Also ich lese das jetzt ganz entspannt als Beschreibung von Tatsachen und finde das eigentlich gut so. Ist doch schön zu wissen, dass, wenn man sich mal in einer Minderheit wiederfinden sollte (generell, nicht nur diesbezüglich), man trotzdem nicht vergessen und gleichberechtigt behandelt wird.

[…] lässt einen immer wieder abschweifen und denkt daran, was das jetzt bringen soll oder eben nicht bringen soll.

Nur, wenn man sich drüber ärgert. 😉 Sonst ist es IMO eine Frage der Gewohnheit; man soll halt beim Lesen, wie eben wissenschaftlich belegt, nicht an einen Mann denken, sondern ans 3. Geschlecht, eine Frau oder eben einen Mann.

Man fügt einen neuen Störfaktor ein, der zu nichts führt, als wie nur Unverständnis, Kopfschütteln und schlussendlich das Abbrechen des Artikels!

Kann natürlich jede:r handhaben wie sie/er will, scheint mir aber eine extreme Reaktion zu sein, wenn einen der Inhalt bis zum ersten Gendern eigentlich interessiert hat. Statistisch müsste ich mir das auf Artikelbasis ansehen, gesamt gesehen hatte das IMO jedenfalls keinen negativen Auswirkungen, eher im Gegenteil, die Zugriff sind in den letzten 2 Jahren gestiegen.

#3 von Peter am 28.9.2023, 11:45 Uhr

Hallo Benedikt,

…die bisherige Forschung zum Gender Bias in Einstellungs- und Beförderungsprozessen hat gezeigt, dass Frauen in Evaluationsprozessen allgemein – also über viele Evaluationsvorgänge und alle möglichen Arten von Organisationen hinweg – minimal benachteiligt sind. In der Sprache der Statistik ausgedrückt, sind weniger als 1% der Abweichung vom Mittelwert aller Evaluationsergebnisse einer Gruppe von Personen durch den Unterschied zwischen den Geschlechtern erklärbar. Der Gender Bias hat statistisch also nur eine sehr geringe Bedeutung, auch wenn es da von Organisation zu Organisation Unterschiede geben kann.

…ein Auszug vom Frauenhofer Blog.de

#4 von Benedikt am 28.9.2023, 20:57 Uhr

Hi Peter, danke fürs Feedback! Erwähnen sollte man dabei IMO, dass es sich um diesen Blogeintrag des Fraunhofer-Instituts handelt, mit dem Titel »Karriere-Killer Gender Bias«. Und darin geht es wiederum um die systemische Wirkung in großen Unternehmen, wo die ungleiche Behandlung am Ende der Karrierestufe erst wieder 60/40 zugunsten der Männer ausschlagen kann. Der Satz vor deinem zitierten Absatz lautet:

In Unternehmen mit mehreren hundert oder tausend Beschäftigten können die kleinen Verzerrungen in Einstellungs- und Beförderungsverfahren aber schnell systemische Ausmaße erhalten – wie ich in diesem Beitrag zeige.

Und der unmittelbar danach:

In großen Organisationen mit mehrstufigen Rekrutierungsprozessen und Hierarchieebenen kann dieser minimale Gender Bias nun aber wesentliche Auswirkungen haben […]

Gefolgt von Absätzen mit Titeln wie »In der Praxis ist der Gender Bias krasser« etc. – also insofern zitierst du IMO genau jenen Absatz aus einem Pro-Gender-Post, der sich eben auf bisherige Forschung dazu bezieht, der Post selbst aber – zumindest beim Thema Karriere – zu einem anderen Schluss kommt.

Neben dem Teilaspekt Karriere werden große Themen wie die real existierende Paygap darin z.B. gar nicht erwähnt.

Unabhängig davon kann man vermutlich ewig aus dieser oder jenen Studie zitieren, da die Gleichberechtigungsdebatte aber sehr viele und auch viel ärgere Themenbereiche umfasst (siehe dazu auch meine Antwort hier, insbesondere der Teil mit den Sustainable Development Goals der deutschen Bundesregierung), vielleicht zur Einordnung worum es mir bei meinem Gendern mit Doppelpunkt geht: Nämlich schlicht um die Vermeidung von »Male bias« in der Sprache (der durch den oben verlinkten Versuch ja erneut bewiesen wurde). Wie messbar die Auswirkungen auf viel schlimmere Probleme bzgl. Gleichberechtigung sind, sei dahingestellt – aber das ist der Part, den ich, zumindest was mein Blog angeht, beitragen kann.

#5 von Robert Lender am 13.3.2024, 19:57 Uhr

Ein wenig spät habe ich deinen Artikel aufgenommen: https://nureinblog.at/12360-die-sache-mit-dem-doppelpunkt-oder-wie-gendern-wir-heute

#6 von Benedikt am 16.3.2024, 20:11 Uhr

Hi Robert, vielen Dank für deine Erwähnung (hab auch bei dir kommentiert) und, dass du auch an dem Thema dranbleibst – auch, wenn einem da teilweise ein rauerer Wind entgegenbläst. 😅

#7 von Robert Lender am 16.3.2024, 20:36 Uhr

Hi Benedikt. Es gibt Thema die tauchen immer wieder bei mir auf und an denen möchte ich einfach dranbleiben. Auch im Sinne von hinterfragen, ob mein Standpunkt noch der Richtige ist.
Ja, das Thema regt manche ungemein auf. Für manche ist es quasi eine persönliche Provokation. Woher das auch immer kommt.
Bei anderen können wir uns zumindest einigen, dass wir bei dem Thema nicht zusammenkommen, aber dafür viel anderes gemein haben. Und das ist heutzutage schon gut und wichtig.

#8 von Benedikt am 20.3.2024, 19:42 Uhr

Ja, die »Agree to Disagree«-Konvention klappt komischerweise nicht immer, insbesondere beim Gendern – und wenn es um den 4020er der ÖBB geht, obwohl ganz anderes Thema. 🤣
Ich hätte das eher bei Tech-Themen vermutet, aber dafür bin ich was Plattformen und Marken angeht hier wohl zu agnostisch.

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