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ÖBB: So gut (?) pendelte es sich im 1. Halb­jahr 2023

8.9.2023·Kommentare:  6

Vielleicht geht es euch ja wie mir: Ihr fahrt öfter bzw. regelmäßig mit dem Zug. An vielen Tagen passt alles, aber nicht immer. Und manchmal gehen Dinge so schief, dass man sich richtig ärgert. Nur ist deswegen gleich die ganze Leistung der ÖBB (oder eures Verkehrsbetriebes) schlecht? Ich habe versucht, der Sache auf den Grund zu gehen.

Slogan von 2017 »Immer in Bewegung« ironisch als »(Fast) immer in Bewegung« auf rotem Hintergrund.
In Anlehnung an den ÖBB-Slogan: Ist »fast immer« in Bewegung zu sein so viel schlechter als »immer« in Bewegung zu sein? 🤔

Spannend dazu ist übrigens ein Tweet der ÖBB aus dem Sommer, der aus einem Vortrag von Lisa Oberzaucher (bekannt aus den »Science Busters«) hervorgegangen ist, in dem es um Kundenzufriedenheit und Wahrnehmung geht:

Die Menschen schreiben natürlich nicht, wenn das Service passt, sondern nur dann, wenn mal ein Zug zu spät ist. Die Leute, die die ÖBB auf Social Media betreuen, werdens kennen!

Ab wann ist objektiv betrachtet das Service schlecht?

Wenn man aber mal einen Schritt zurückgeht und versucht, das ganze objektiv zu betrachten, stellt sich einem die Frage: Ist die Leistung der ÖBB jetzt unterm Strich gut oder nicht? Sind die Probleme, denen man vor allem als Pendler begegnet unglückliche Einzelfälle und nimmt man diese wegen seines Pendlerdaseins einfach nur verstärkt wahr?

Mein empirischer Ansatz 🧐

Ich habe versucht, der Sache auf den Grund zu gehen und habe mit meiner Rückkehr ins Büro Anfang 2023 angefangen, die Fahrten zu protokollieren (ja, ich weiß, darauf hat die Welt gewartet: auf einen Blogger mit Excel-Tabelle! 😅).

Seit 1.1.2023 bin ich an 40 Tagen mit dem Zug nach Wien und wieder heim gefahren, macht bis 30.6.2023 genau 80 Fahrten insgesamt.

Die Qualität der Fahrten habe ich in drei Stufen unterteilt:

Gut ·
Ein Sitzplatz mit Tisch, mit einer nach Plan durchgeführten Fahrt (mit unter 10 Minuten Verspätung).
Normal ·
Man befindet sich im Zug mit Sitzplatz, dieser fährt und man erreicht sein Ziel mit unter 10 Minuten Verspätung.
Schlecht ·
Zug endet überraschend + weitere Verbindungen notwendig, um Ziel zu erreichen (z.B. betriebliche Störung, Schienenersatzverkehr etc.); Zug fällt ersatzlos aus; über 10 Minuten Verspätung; Unzumutbarkeit.

Diese willkürliche, rein persönliche Aufteilung bedarf vielleicht einer Erklärung. Als Pendler mit rund 40 Minuten Fahrzeit im Zug stelle ich mir eine Zugfahrt so vor: Der Zug ist pünktlich, ich habe einen Sitzplatz mit Tisch zum Arbeiten (oder Bloggen 😉). Das sind für mich die Rahmenbedingungen für eine als »gut« eingestufte Fahrt und stellen meiner Meinung auch die Mindestanforderungen an modernes Pendeln dar.

Wie unterscheiden sich »normale« Fahrten dazu? Das sind Fahrten mit Sitzplatz, aber ohne Tisch. Darunter fallen zum Beispiel alle Fahrten mit den alten 4020er-Garnituren. Aber auch welche mit modernen CityJet-Garnituren, wo aufgrund der Auslastung kein Platz mit Tisch mehr verfügbar war. Es passiert aber nur sehr selten, dass ich Letzteres als so eine Fahrt einstufe – ich klappere natürlich nicht den gesamten Zug nach einem Platz mit Tisch ab, entscheide aber meist zugunsten der ÖBB, dass aufgrund der Auslastung wohl noch wo einer frei wäre.

Beim letzten Punkt »Schlecht« wird es spannend: Darunter fallen für mich hauptsächlich Fahrten, die überraschend frühzeitig enden und man in einen anderen Zug umsteigen muss (Hauptanteil der als »schlecht« eingestuften Fahrten, auch alle Fahrten mit einem Schienenersatzverkehr (SEV) fallen unter diesen Punkt). Man muss auf die Schnelle alles zusammenpacken, zum gegenüberliegenden Zug hetzen (in manchen Fällen sogar via Unterführung auf einen anderen Bahnsteig), findet dort vielleicht keinen Sitzplatz mehr etc. Knapp dahinter sind die ersatzlosen Zugausfälle, wo man auf den nächsten Zug warten muss. Der Rest teilt sich auf in unzumutbare Situationen im Fahrgastraum (z.B. Stehplatz wegen Überfüllung, mangelnde Hygiene-Bedingungen etc.), aber auch, wenn es an der Technik scheitert.

Das Ergebnis

Laut meines Protokolls waren laut dieser Definition …

Was heißt das nun?

Das liest sich auf den ersten Blick gar nicht so schlecht. Woher kommt also das Gefühl, dass »immer irgendetwas nicht passt« bzw. dass es besser laufen könnte? Dazu hilft es, einen Blick auf die prozentuellen Anteile zu werfen und zu überlegen, was das in der Praxis bedeutet.

Die 14 als »schlecht« eingestuften Fahrten fanden an zwölf verschiedenen Tagen statt (das heißt, an zwei Tagen waren sowohl Hin- als auch Rückfahrt als »schlecht« bewertet). Bei 40 Tagen, an denen ich gependelt bin, heißt das wiederum, dass an fast jedem 3. Tag, an denen man in einem Zug sitzt, etwas nicht passt. So gerechnet liegt die Zuverlässigkeit bei überschaubaren 70 %.

Betrachtet man die Fahrten einzeln, tritt bei fast jeder 5. Fahrt ein Problem auf – macht 82,5 % Zuverlässigkeit.

Fazit

Und die Frage bleibt: Ist das nun gut oder schlecht? Nun, mit einer Zuverlässigkeit oder einer Quality-of-Service-Schwelle von rund 80 % kann man zumindest sagen, dass da schon Luft nach oben ist (und ist ein paar Prozentpunkte schlechter als in meinem letzten Erfahrungsbericht).

Sicher, ein Desaster sieht anders aus, aber z.B. an jedem 3. Tag im Büro durchs Fenster klettern zu müssen, weil die Tür defekt ist, würde wohl unter unzumutbar fallen.

Eure Meinung

Was meint ihr? Haltet ihr meine Auswertung für plausibel oder seht ihr das anders? Seid ihr als Pendler mit den ÖBB zufrieden oder seht auch ihr Verbesserungspotenzial? Auf euer Feedback freue ich mich wie immer in den Kommentaren!


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6 Kommentare

#1 von Beckmesser am 8.9.2023, 8:44 Uhr

Interessanter Ansatz einer Wertung, das mache ich jetzt für mich auch so…

Ein paar An- und Bemerkungen, teilweise off-topic:

Bei der Betrachtung der ÖBB würde ich vorschlagen zwischen dem von dir beschriebenen Pendlerverkehr (oder Nahverkehr im Allgemeinen) und dem Fernverkehr zu unterscheiden.

Letzterer ist das, aus meiner Sicht recht erfolgreiche, Liebkind der ÖBB und wird weitgehend bevorzugt. Der Nahverkehr hinkt deutlich hinterdrein, mit regionalen Unterschieden natürlich (hängt vielleicht auch von den Zuwendungen der Länder und sogar Gemeinden ab).

Aus meiner Erfahrung (ich pendle ein bis zwei Mal in der Woche aus dem Gebiet des Semmerings nach Wien) läuft es zwischen Wien und Wiener Neustadt – einer typischen Hauptfernstrecke – sehr gut, die RJs, ICs usw. sind pünktlich, erwartungsgemäß ausgelastet, fast nie zu voll. Wenn die Pendler (so wie ich) nach Wien in Wiener Neustadt einsteigen wird es schnell voll, umgekehrt schnell leer.

Die Nahverkehrszüge sind voller und unpünktlicher, fallen auch öfter aus und in den letzten Monaten ist auch öfter wieder die alte 4020er Schnellbahn unterwegs.

Besonders unangenehm wird es bei Bauarbeiten auf Streckenteilen, das habe ich seit zwei Jahren und noch bis Jahresende im Bereich nach Wiener Neustadt in Richtung Semmering, da dürfen zwar RJs und Güterzüge durchfahren, der Pendlerverkehr wird außerhalb der Stoßzeiten extrem ausgedünnt und durch einen völlig verblödet organisierten Busverkehr ersetzt (Beispiel: 9:00 Zug fährt laut Fahrplan, 9:30 Zug fällt aus und wird durch einen Bus ersetzt, der schon um 9:05 fahren muss um dann zur gleichen Zeit wie der 9:30 in WN anzukommen). Fahrende Züge haben oft deutliche Verspätung – halten auf der Stecke um RJs vorzulassen – man versäumt dann den Anschluss. Bauarbeiten halt, aber die gehen vorbei und dann wird es besser…

Dass man parallel zu diesen Bauarbeiten auch noch das Parkhaus am Bahnhof WN ausbaut – und dafür für ein Jahr schließt – zeigt, dass die Planung zwischen den unterschiedlichen ÖBB-Unternehmen (danke Herr Schüssel) nicht gut läuft. Aber vielleicht Absicht um das Ausweichen auf das Auto zu verhindern.

Eine Nebenbemerkung: was mich am Pendeln per Bahn am meisten stört, die Mitreisenden. Fast jeder belegt einen zweiten Sitz für seine Tasche, starrt dann ostentativ auf sein Handy oder Notebook und ignoriert den am Gang Stehenden, der auch gerne sitzen würde. Und viele trauen sich nicht zu fragen. Und natürlich die, die ihre Schuhe auf der gegenüberliegenden Bank ablegen. Und das Personal, dass zu feig ist etwas zu sagen… (Oh Gott, ich werde alt, denke schon wie mein Vater)

Trotzdem fahre ich gerne per Bahn, nutze die Zeit und wundere mich über mich wie ich viele Jahre lieber mit dem Auto fuhr.

(PS: bitte um schwerere Rechnungen, die kann ich schon)

#2 von onli am 8.9.2023, 13:01 Uhr

Die Auswertung per Prozent erscheint mir total sinnvoll. Vor allem, wenn man das weiterspinnt: Wenn eine einzelne Strecke 80% verlässlich ist, werden die Zahlen ganz schön übel wenn man mehrfach umsteigen muss.

Bei der DB gibt es bei der Pünktlichkeit große Unterscheide zwischen Nah- und Fernverkehr. Deine Strecke zählte zum Nahverkehr, richtig? Die Deutsche Bahn ist da bei 90%. Dafür nur 70% im Fernverkehr… Wobei, die Unzumutbarkeit ist da nicht drin, das hätte die 90% wahrscheinlich gedrückt.

#3 von Benedikt am 12.9.2023, 6:38 Uhr

Hi Beckmesser, vielen Dank wieder für dein Feedback (und sorry für die verspätete Rückmeldung)! Auch mal spannend, das aus der Sicht eines Pendlers mit Fernververkehrsanteil zu sehen.

Meine Erfahrungen im Nahverkehr entsprechen exakt den deinigen: Die Verbindungen haben Nachrang (z.B. anderen Zug vorbeilassen etc.). Auch die SEV-Situation war bei uns im Sommer exakt gleich: Bus, der nur wenige Minuten nach der ersten durchgehenden Verbindung fährt, um zur gleichen Zeit in Wien anzukommen, wie die Verbindung, die er ersetzt. Auch umgekehrt aus Wien heraus keine Alternative, weil der nächste durchgehende Zug nur 15min langsamer ist, als die vorhergehende mit SEV. Ich kann beides logistisch auch nachvollziehen – als Pendler hat man im Endeffekt aber wenig davon. Wegen SEV blieb für Frühpendler dann auch nur mehr die Option mit 4020er-Verbindung – die wurde jetzt Anfang September zum Glück endlich durch CityJet ersetzt.

Was die Mitreisenden angeht: Ja, die Quasi-Belegung des 2. Platzes mit Gepäckstück und dem vermeiden von Blickkontakt sehe ich genau so. Wobei ich dir hier dieses Kleinod niederösterreichischer Pendlergeschichte ans Herz legen kann – wo das Ganze mal mehr oder weniger eskaliert ist. Ah ja, und die Schuhe OMG – seh ich genau so! 😆 Ich bin aber auch jemand, der bei offensichtlicher Verschmutzung, wie Bananenschale einfach auf Boden werfen (war aber in U-Bahn) oder runterfallende Teile eines Burgers durchaus was sagt (und nein, ich habe nichts dagegen, wenn Leute in Öffis essen). Und, weil es mir in letzter Zeit öfter auffällt: Penetranter Kettenraucher-Geruch – nicht leiwand.

(PS: bitte um schwerere Rechnungen, die kann ich schon)

Du meinst komplexere KPIs? Hihi, ich versuchs für den Ganzjahresbericht, bin da wohl noch zu wenig kreativ. 😄 Bin jedenfalls für Tipps dankbar, was man mit den Daten noch ausrechnen könnte (oder welche Daten ich noch mittracken könnte).

Unterm Strich aber: Ja, lieber mit Öffis Pendeln als (Zweit-)Auto samt Parkplatz erhalten müssen und die Fahrzeit dabei komplett zu verschwenden. (Ich mach das mit meiner Kritik ja hier, damit es auch so bleibt bzw. noch attraktiver wird. 💪😁)

#4 von Benedikt am 12.9.2023, 6:41 Uhr

Hi onli, danke für dein Feedback! Ja, bin im Nahverkehr unterwegs – wäre eine gute Frage, ob es viele Pendler gibt, die zwei Nahverkehrsverbindungen benötigen. Die Schnellbahnen um und in Wien sind mehr oder weniger sternförmig angelegt, kann aber natürlich trotzdem sein (Beckmessers Beispiel ist quasi eine Verlängerung der Nahverkehrsstrecke mit Fernverkehr).

Meine Daten sind natürlich nur ein Messpunkt, aber ja, besser wird’s vermutlich nicht, sollte man mehrere Strecken benötigen. Beim Begriff Zuverlässigkeit bin ich mir auch noch unsicher. »Nach Plan durchgeführt« wäre irgendwie besser, wenn etwas nicht zuverlässig ist, könnte man denken, die Verbindung würde gar nicht klappen, was ja auch nicht der Fall ist. Mal sehen, ob ich für den Ganzjahresbericht einen passenderen Begriff finde.

Den Ruf der DB verfolge ich immer über die ZDF Heute Show (und fühle mich dann als ÖBB-Kunde gleich besser 😄), wobei meine Erfahrungen mit der DB (allerdings schon vor 10 Jahren) recht gut waren, z.B. die Verbindung Hamburg-Berlin. Aber spannend zu hören, dass der Nahverkehr da eigentlich gut klappen sollte. Und ja, die Unzumutbarkeit, das ist halt so eine Sache – wäre witzig, wenn mal ein Öffi-Betreiber so eine Kennziffer abseits der Pünktlichkeit tatsächlich einführt.

#5 von Beckmesser am 12.9.2023, 14:31 Uhr

Servus Benedikt, danke für Rückmeldung. Lustig, das Problem der Verschmutzung mit Essen sehe ich in Richtung Süden fast nie; das mag aber einfach nur Glück sein, ich passe morgen genau auf (und sehe ab dann nichts anderes mehr…). Rauchgeruch ist das Schlimmste, das stehe ich lieber eine Stunde weit weg.

Entschuldigung für meinen dummen Schmäh mit den Rechnungen… Ich meinte das »Ein Mal ein gleich ?« neben den Kommentieren-Button

#6 von Benedikt am 15.9.2023, 19:36 Uhr

Bitte gern! Was die Patzerei beim Essen angeht, sind meine Beispiele zugegebenermaßen nicht unbedingt Standardsituationen – aber die sind mir in Erinnerung geblieben. Ab und an merkt man aber, das an einem Platz jemand ausgiebigst diniert und eher wenig auf Sauberkeit geachtet hat, sagen wir’s mal so.

Bzgl. Rechen-Schmäh – achso! 😅 Kein Problem, hab ich voll nicht gecheckt. 😆 Ja, das ist meine Captcha-Minimallösung, deren Rechenaufgabe nach einiger Herumprobiererei in ausgeschriebener Form auf Deutsch gegen Spammer aktuell am effektivsten ist. Wenn die geknackt wird, überlege ich mir komplexere Rechenaufgaben. 😉

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